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Dankesrede von Angela Hampel anlässlich der Verleihung des Kunstpreises der Stadt Dresden im Sommer 2023
Wo ich die Welt anschau, möcht´ ich sie umdrehen.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Beigeordnete und Stadträte -
liebe Jurymitglieder und Gäste, liebe Familie und Freunde,
ich möchte an diesem für mich beglückenden und wichtigen Tag, an diesem schönen und
geschichtsträchtigen Ort Danke sagen. Danke der Jury, die mich für preiswürdig befunden
hat und Danke der Stadt, die diesen wichtigen Preis seit 1993 auslobt.
Wen sehen Sie hier stehen?
Die Oberemanze von Dresden? Die rote Socke? Die Pegidaversteherin?
Die durchgeknallte Baumretterin? Die Lumpenpazifistin?
Alles "Titel", die mir im Laufe eines langen Künstlerinnenlebens zugedacht worden sind.
Vielleicht sehen Sie auch nur eine alte, weise Frau?
(Wobei es mit der Weisheit leider noch nicht so geklappt hat ...)
Der eingangs zitierte Satz stammt aus Christa Wolfs Buch Kein Ort. Nirgends.
Er beschreibt wie kaum ein anderer auch mein Denken und Fühlen.
Als ich mich während des Studiums entschloß, in Dresden zu bleiben, wußte ich nicht,
dass dies eine Liebe für´s Leben werden würde.
Selten habe ich diese Entscheidung bereut - obwohl Dresden eine Stadt ist, die ihre
Künstlerinnen und Künstler mit der einen Hand an die Brust drückt - während sie sie mit
der anderen züchtigt.
Das Verhältnis zu Dresden hat Menschen seit Jahrhunderten umgetrieben: nicht nur Maler,
Dichter und Architekten.
Man kann in der Umarmung der Stadt ersticken, in ihrer Gemächlichkeit, in ihrem
Beharrungsvermögen. Man muß ihre Eitelkeit nicht mögen: man kann sich ihr jedoch
hingeben. Und diese Hingabe hat oft die besten, schönsten und bedeutendsten Kunstwerke
hervorgebracht.
Diese sind aus der Geschichte erwachsen, aus Traditionen und der Arbeit vieler
Generationen. Und wer viel Kultur hat, will und muß sie auch bewahren.
Wäre Dresden mitsamt den Dresdnern nicht genau so, wie es ist, wäre es sicher nicht die
Stadt, die Jahr für Jahr Tausende Menschen zum Bleiben animiert. Das ist verwirrend,
steht doch dieser Zustrom in keinem Verhältnis zur permanenten Schmähung, welcher
Dresden, Sachsen und der Osten insgesamt ausgesetzt sind.
Dresden ist. Niemand muß kommen, um - Zitat: was draus zu machen. Denn manche
Veränderung ist nur eine ungenügend kaschierte Verschlechterung. Dresdens Schätze -
dazu zähle ich auch die Parks und Grünflächen - müssen weder verramscht, noch
verscherbelt, noch "verbessert" werden. Es muß auch niemand ganze Kapitel von
Architektur- und Kunstgeschichte - z.B. durch Abriß - umschreiben.
Und wenn einige Gruppen von Menschen - nicht nur in Dresden - Kunstwerke stehlen
und zerstören, muß dringend über den Umgang mit diesen Gruppen nachgedacht werden.
Nehmen wir also die Stadt an - mit all ihren Facetten - und tun mit Rücksicht und
Bescheidenheit das unsrige dazu. Das schließt auch Verantwortung ein.
Für Künstlerinnen und Künstler bedeutet das u.a., künstlerisch überzeugend und
gegenwartskritisch zu sein. Leider ist es in Mode gekommen, sich an der Vergangenheit
abzuarbeiten. Da wird kontextualisiert, interpretiert und interveniert, was das Zeug hält.
Apropos Zeug: wäre es nicht angebracht, im Zuge der Rückgabe von gestohlenen
Kunstwerken und der Entschädigung für solche, die zerstört wurden auch die
Ostdeutschen zu bedenken? Mir fallen dabei u.a. Graf, Leon, auch Müther ein.
Diese Kollateralschäden des Anschlusses füllen Bände. Aber das nur mal am Rande.
Kunst geht - wie Sie wissen - nach Brot.
Und wer die Wurst dazu haben will, muß schneller gehen. Wie hoch der Brotkorb hängt,
ist von Zeit zu Zeit, von Ort zu Ort verschieden. Anpassung wird jedoch immer belohnt.
Auch ein Künstlerleben ist oft kurz. Und manch einer neigt dazu, den Zeitgeist überholen
zu wollen. Das nenne ich vorauseilenden Gehorsam - übrigens ein gesamtgesellschaftliches
Problem. Auf dem Gebiet der Kunst gebiert er "Bekundungskunst".
Pablo Picasso und Friedrich Wolf sprachen von Kunst als Waffe. Doch wer malt heute
schon ein Guernica? Anlässe gäbe es genug: Kriege, wohin man schaut auf der Welt...
Leider schauen wir derzeit nur in eine Richtung. Das ist geopolitschen Interessen und der
verbindenden Wirkung eines gemeinsamen alten, neuen Feindbildes geschuldet.
Offensichtlich haben wir nicht gelernt aus der Geschichte.
Und anstatt sich gemeinsam um eine lebenswerte Gesellschaft - eine gemeinsame
Zukunft überhaupt - zu kümmern, arbeiten wir uns hier in immer ausdiffenzierteren
Betroffenheits-Kleingruppen ab, erfinden neue Begrifflichkeiten und Abgrenzungsstrategien.
Das ist Teile und herrsche in Reinstform. Die Frage hierbei ist: Wem nützt die
oft zitierte "Spaltung der Gesellschaft", ihre fortschreitende Infantilisierung?
Wer profitiert von Denunzianten- und Duckmäusertum?
Es wird zunehmend gefühlt, nicht gedacht und analysiert. Das Debakel um ein Wandbild
in Kassel mag exemplarisch für diese "schöne" neue Gefühligkeit stehen, auch das Verbot
einer Lesung zweier afrodeutscher Autorinnen, weil sie während dieser aus ihrem Buch
das Wort Neger zitiert haben: Hier wird aus Kultur Empörungskultur.
Werden wir ein Volk von Eiferern?
Dieser "Betroffenheitspilz" zerstört mit seinem sich in alle Bereiche ausbreitendem Myzel
die Grundlagen unseres Miteinanders. Er lehrt einen das Fürchten und wirft eine weitere
Frage auf: Was ist mit uns - wohl nicht erst seit Corona - passiert?
Und wie sollte, wie könnte ich als Künstlerin auf diese Entwicklungen reagieren?
Wie gehe ich damit um, dass es mitten in Dresden zumindest eine türkische Frau gibt, die
seit Jahren in einer Wohnung am Nudelturm eingesperrt ist?
Wie mit der Tatsache, dass im Alaunpark Laternen gegen Vergewaltiger und Dealer
aufgestellt werden sollen, anstatt unsere Asyl- bzw. Integrationspolitik zu hinterfragen?
2020/21 wurden ca.13.000 Bäume abgeholzt. Wie setze ich meine Wut und Trauer
künstlerisch um?
Und was kann Kunst gegen die architektonische Fledderung der Stadt ausrichten, die
schon jetzt in Teilen einem Disneyland gleicht bzw. einer globalisierten Allerweltsstadt?
Ich frage auch, welche Bedeutung Kunst haben kann in einem Land, in dem 4.Klässler
teilweise das sprachliche Niveau von 1.Klässlern haben, wo einfache Sprache einfaches
Denken erzeugt und umgekehrt? Und: sollte sich Kunst in die Tagespolitik mischen?
Als wir 1989 die Dresdner Sezession gründeten, taten wir es auch in der Hoffnung, die
Situation von Künstlerinnen verbessern zu können. Statistisch gesehen mag das
gelungen sein - von einer wirklichen Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau,
Künstler und Künstlerin kann jedoch auch nach über dreißig Jahren keine Rede sein.
Neben den vielen, vielen Ausstellungen, mit denen wir Kunst von Künstlerinnen nach
Dresden geholt haben, können wir jedoch auch auf eines stolz sein: wir gehören zu den
Wegbereiterinnen der Idee, Kunst, Stadt und Natur miteinander zu verbinden.
Dafür stehen die vielen Kunstwerke entlang unseres Wasserkunstweges.
Dort anzuknüpfen, wäre eine lohnende Aufgabe für unsere Nachfolgerinnen.
Ein Gedanke nebenbei: Wenn ich auf meine Palette schaue, sehe ich die schönsten Farben
in all ihrer Strahlkraft. Sie ist bunt. Verrühre ich alle Farben zu einem Brei, ergibt das eine
grau-braune Brühe ...
Jede Künstlerin, jeder Künstler will doch wirken in der Zeit. Das tun zu können, ist ein
großes Glück - erfordert aber zu allen Zeiten, in allen politischen Systemen Mut und
Durchhaltevermögen. Kunstwerke wollen gebraucht werden, Künstler dazugehören.
Daher möchte ich mich an dieser Stelle bei all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
Dresdner Institutionen bedanken, die unsere Arbeit in dieser Stadt ermöglichen, die
tagtäglich um die Kunst kämpfen und nicht nur Erfüllungsgehilfen wechselnder
tagespolitischer Vorgaben sind.
Kultur und Kunst sind der Kitt jeder Gesellschaft. Fehlt er, fallen die Scheiben aus dem
Rahmen. Mancherorts klappern sie schon gewaltig.
Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Mark Twain:
Trenne dich nie von deinen Illusionen und Träumen. Wenn sie verschwunden sind,
wirst du weiter existieren, aber aufgehört haben zu leben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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